Diabetes und Zöliakie: Wenn Brot krank macht

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„Ist da Gluten drin?“ – Wer dies heute beim Bäcker oder im Restaurant fragt, hat gute Chancen auf eine hilfreiche Antwort. Vor ein paar Jahren gab es oft nur hilfloses Schulterzucken. Heute füllen im Supermarkt glutenfreie Produkte ganze Regale und auch bei vielen Bäckern wird man fündig. Auf Gluten zu verzichten liegt voll im Trend.

Einen Vorteil hat dieser Lifestyle-Trend: er lenkt das Augenmerk auf eine lange recht unbekannte Krankheit – die Zöliakie. Bei der Autoimmunerkrankung vertragen Betroffene das Gluten nicht. Etwa 1 Prozent der europäischen Bevölkerung soll davon betroffen sein. Damit ist die Krankheit die häufigste Lebensmittelintoleranz auf unserem Kontinent.

Doch was ist Gluten?

Gluten leitet sich aus dem englischen Begriff „glue“ für Klebstoff ab und ist ein Sammelbegriff für Proteine, die in vielen Getreidesorten vorkommen. Wenn Mehl mit Wasser vermengt wird, verbinden sich die Proteine zu einem Netzwerk - eine klebstoffartige Verbindung entsteht. Diese macht den Teig schön elastisch und sorgt beispielsweise auch dafür, dass Brot sich vergrößert, wenn es gebacken wird.

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Der Dünndarm spielt verrückt

Normalerweise wird die aufgenommene Nahrung im Magen und Darm verdaut, also in die einzelnen Bestandteile zerlegt. Im Dünndarm nehmen die Darmzotten Nährstoffe auf, die dann über das Blut in die verschiedenen Organe geschleust werden. Bei Menschen mit Zöliakie stuft der Körper allerdings das Gluten als Eindringlinge in den Körperkreislauf ein. Das Immunsystem produziert daraufhin Antikörper, die die Struktur der Dünndarmzotten angreifen. Durch diese Immunreaktion entzündet sich die Darmschleimhaut und die Zotten bilden sich zurück. Nährstoffe aus der Nahrung können nicht mehr optimal aufgenommen werden, was zu einem Nährstoffmangel führen kann.

Die häufigsten Symptome für Zöliakie sind Verdauungsbeschwerden, Gewebeschäden im Dünndarm, Blähungen, Durchfall, Verstopfungen, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Aber auch Depressionen, Gewichtsverlust und vor allem bei Kindern Wachstumsstillstand und Entwicklungsverzögerungen können auftreten. Durch die Mangelversorgung des Körpers können außerdem noch zahlreiche weitere Symptome auftreten, die sich auch noch während des Krankheitsverlaufs verändern können. Diese vielfältigen und manchmal auch ganz untypischen Symptome erschweren die Diagnose. Nur durch einen Bluttest und eine Dünndarmbiopsie kann die Diagnose eindeutig gestellt werden.

Die einzige Therapie - lebenslanger Verzicht

Gegen Zöliakie gibt es keine Medikamente. Die einzige Therapie ist eine lebenslange, streng glutenfreie Ernährung. Dabei ist es gar nicht so einfach, gar kein Gluten zu sich zu nehmen. Viele Getreidesorten, Gewürzmischungen, Fertiggerichte können Gluten enthalten. Sogar in Süßwaren, Eisspeisen, in Medikamenten oder in Zahnpflegeprodukten kann das Klebereiweiß verarbeitet sein. Da hilft nur das genaue Lesen der Inhaltsstoffe. Dennoch bleiben Urlaubs- und Geschäftsreisen für Betroffene oft eine Herausforderung.

 

Glutenfreie Lebensmittel

Lebensmittel, die Gluten
enthalten 
können

Glutenhaltige Lebensmittel
  • Buchweizen, Reis, Mais, Hirse, Quinoa, Amaranth, Teff (Zwerghirse), Kartoffeln
  • Obst, Gemüse, Milch, Käse, Naturjoghurt
  • Fleisch pur, Fisch pur, Öl, Nüsse, Samen
  • Glutenfreie Ersatzprodukte
  • Fertiggerichte
  • Verarbeitete Lebensmittel wie Kartoffelchips, Süßigkeiten, Gewürze
  • Wurst- und Käsewaren
  • Medikamente und Kosmetika
  • Weizen, Roggen, Dinkel, Emmer, Kamut, Grünkern, Gerste, herkömmlicher Hafer
    und daraus hergestellte Lebensmittel

 

Mittlerweile können Betroffene jedoch auf eine ganze Reihe Ersatzprodukte zurückgreifen: glutenfreie Nudeln, Kekse, Brote oder Schokoriegel sind in vielen Super- und Drogeriemärkten erhältlich. Diese Produkte sind im Idealfall mit der durchgestrichenen Ähre gekennzeichnet und dürfen damit einen Glutengehalt von 20 mg pro Kilogramm nicht überschreiten. Die Deutsche Zöliakie Gesellschaft (DZG) führt das Glutenfrei-Symbol als eingetragenes Warenzeichen und vergibt es im Rahmen eines Lizenzvertrages an nationale Hersteller und Vertriebe glutenfreier Lebensmittel. Dabei werden ausschließlich Produkte lizenziert, für die der DZG eine Glutenanalyse eines akkreditierten Labors vorgelegt wird, die nicht älter als drei Monate ist.

Wird der Darm nicht mehr mit dem Eiweißstoff konfrontiert, können sich die Schäden, welche das Gluten im Dünndarm angerichtet hat, wieder vollständig zurückbilden. Doch nur ein nicht-beachteter Brotkrümel kann erneut heftige Beschwerden auslösen und es kann Monate dauern, bis sich der entzündete Darm wieder erholt hat.

Glutenfrei nur bei Zöliakie

Viele Menschen, die nicht an Zöliakie leiden, verzichten freiwillig auf Weizen, Dinkel, Gersten und Roggen. Promis und Stars wie Miley Cyrus und Gwyneth Paltrow schwören darauf. Dabei findet die Deutsche Zöliakie Gesellschaft diesen Trend ohne medizinischen Grund alles andere als gut. Denn viele kohlenhydratreiche Lebensmittel, in denen sich Gluten befindet, liefern nicht nur Energie, sondern gleichzeitig auch wertvolle Ballast- und Nährstoffe. Passende Ersatzprodukte sind oft mehr als doppelt so teuer. Und weil das Klebereiweiß fehlt, sind die Produkte häufig trockener. Um das auszugleichen und den Geschmack zu verbessern, wird meist der Anteil an Zucker und Fett erhöht. 

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Wer also unbedingt auf Gluten verzichten möchte, sollte sich genau informieren. Obst, Gemüse, Reis oder Hülsenfrüchte können dabei den Mangel an Ballaststoffen ausgleichen und den Körper mit den nötigen Vitaminen und Nährstoffen versorgen. Auch mit der Zugabe von Flohsamenschalen beim Brot backen, wird höherer Ballaststoffgehalt erreicht, gleichzeitig können Kerne (z. B. Sonnenblumenkerne) und Samen (z. B. Leinsamen) verwendet werden, aber auch Buchweizenflocken, ganze Hirse, Quinoa oder Amaranth.

Zöliakie und Typ-1 Diabetes: gemeinsame Gene

In Deutschland leidet ca. 1 Prozent der Bevölkerung an Zöliakie. Unter den Typ-1 Diabetikern liegt der Anteil bei 5 - 7 Prozent. Zöliakie ist wie Typ-1 Diabetes eine Autoimmunkrankheit. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich die beiden Krankheiten die Empfindlichkeitsgene HLA-DQ2 und HLA-DQ8, welche die immunologische Reaktion auslösen, als genetische Marker teilen. Diese Tatsache könnte erklären, warum Zöliakie bei Menschen mit Typ-1 Diabetes häufiger vorkommt. Meist tritt dabei der Typ-1 Diabetes zuerst auf bzw. wird zuerst diagnostiziert. Das liegt oft an den eindeutigeren Symptomen. Aus diesem Grund wird im Rahmen einer Typ-1 Diagnostik auch oft gleich mit einem Bluttest abgeklärt, ob Zöliakie vorliegt.

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Wenn bei einem Typ-1 Diabetiker häufiger Unterzuckerungen auftreten bzw. der Insulinbedarf sinkt, könnte dies ein Hinweis auf die Zöliakie sein. Denn durch die Veränderungen in der Dünndarmschleimhaut können auch Kohlenhydrate nur in geringerem Maße aus dem Darm ins Blut aufgenommen werden. So sinkt der Blutzuckerspiegel, obwohl die gleiche Menge an Kohlenhydraten aufgenommen wird. In solchen Fällen sollte mit einem Bluttest abgeklärt werden, ob Zöliakie dies verursachen könnte.

Ein Zusammenhang zwischen der Zöliakie und Typ-2 Diabetes konnte bislang nicht nachgewiesen werden.

Auswirkungen auf die Diabetes-Therapie

Auch Diabetiker mit Zöliakie müssen konsequent auf Gluten verzichten. Gleichzeitig soll natürlich eine optimale Blutzuckereinstellung das Risiko für Folgeerkrankungen verringern. Dabei müssen Betroffene beachten, dass glutenfreie Ersatzprodukte durch die verwendeten Grundzutaten einen etwas höheren glykämischen Index haben und so der Blutzuckeranstieg nach einer Mahlzeit höher sein kann. Unter den glutenfreien Ersatzprodukten gibt es allerdings mittlerweile auch für Diabetiker Produkte, die den Blutzucker weniger stark ansteigen lassen, so enthalten z. B. aus Kichererbsenmehl oder roten Linsen hergestellte Nudeln weniger Kohlenhydrate und gleichzeitig mehr Eiweiß.

Grundsätzlich gilt, eine abwechslungsreiche Kost mit viel Gemüse und Obst, Milchprodukten, magerem Fleisch, Fisch, guten pflanzlichen Ölen und frisch zubereiteten Gerichten zu bevorzugen.

Hafer - ein Sonderfall

Eine Sonderstellung hat der Hafer. Gemäß der Stellungnahme der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft enthält herkömmlich hergestellter Hafer starke Verunreinigungen mit Weizen und Gerste, so dass die Verträglichkeit für Patienten mit Zöliakie nicht gegeben ist.

Inzwischen gibt es aber speziell hergestellten (und mit der durchgestrichenen Ähre gekennzeichneten) glutenfreien Hafer und daraus hergestellte Produkte wie z. B. Haferflocken. Dennoch sollte man diese Lebensmittel zuerst mit geringen Mengen in den Speiseplan einführen und langsam steigern. Nur kurz anhaltende Blähungen, weicherer Stuhl oder ein Rumoren im Bauch können durch den höheren Anteil an Ballaststoffen erklärt werden.

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Halten die Beschwerden länger an, sollte eine Untersuchung der Dünndarmschleimhaut erfolgen. Denn Hafer zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit anderen glutenhaltigen Getreidesorten, wobei der Anteil der entsprechenden Eiweiße, die dem Gluten ähneln, deutlich geringer ist. Deshalb reagieren einige Betroffene auf diese Eiweiße, während andere diese Produkte gut vertragen.

Hafer hat im Vergleich zu den meisten glutenfreien Ersatzprodukten einen hohen Anteil an Vitaminen, Mineralstoffen, ungesättigten Fettsäuren und Ballaststoffen. Besonders hervorzuheben ist das im Hafer enthaltene Beta-Glucan. Es senkt den Cholesterinspiegel im Blut und hat eine blutzuckersenkende Wirkung bei gleichzeitiger Verbesserung der Insulinsensibilität. Diese Eigenschaften machen Hafer zu einem wertvollen Lebensmittel für Diabetiker mit Zöliakie – sofern sie ihn gut vertragen.

Trauen Sie sich ruhig an glutenfreie Leckereien ran und lassen Sie sich das saftige Körnerbrot, die leckere sättigende Tarte mit Polentaboden und die kleine Sünde, den schokoladigen Fudge, schmecken.

Stephanie Sucher, Diabetesassistentin DDG, Ernährungsberaterin DDG

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