Diabetes & Recht: Keine Angst vor dem Alltag

Wird die Diagnose Diabetes mellitus gestellt, denken die Wenigsten dabei sofort daran, welchen Einfluss Diabetes auf alle Lebensbereiche nehmen wird oder welche Rechte und Möglichkeiten zur Unterstützung einem zur Verfügung stehen und wo man Hilfe bekommt.

Nach der Diagnose steht erst einmal die medizinische Behandlung im Vordergrund. Eine kompetente Betreuung erfolgt durch ein Team von Fachärzten und Diabetesberatern in der Praxis oder der Klinik. Schnell wird dabei die Therapie zur Routine und schon bald heißt es für Betroffene und deren Angehörige, allein im Alltag klarzukommen.

Im Alltag angekommen rücken nach und nach Fragen zum Berufsleben, Möglichkeiten der sozialen Hilfe oder Schwerbehindertenausweis in den Vordergrund oder was sich für das betroffene Kind alles in der Schule und bei den Freizeitaktivitäten ändert.

Es ist fast unmöglich, sich im Paragraphendschungel und Vorschriftenwirrwarr allein zurecht zu finden, zumal in Deutschland fast jedes Bundesland eigene Vorgaben und Regelungen hat. Scheuen Sie sich deshalb nicht, bei Bedarf in diversen Beratungsstellen kompetente Hilfe zu holen und, vor allem bei rechtlichen Fragen, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

„Ein Schwerbehindertenausweis bringt nur Vorteile“ - ist diese Aussage wirklich zutreffend?

Bevor man sich für die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises entscheidet, sollte man sich der Tragweite dieser Entscheidung bewusst sein. Entgegen der weit verbreiteten Meinung kann die Ausstellung eines solchen Ausweises, gerade für jüngere Patienten, im Berufsleben auch Nachteile mit sich bringen.

Was bedeutet Schwerbehinderung?

Laut Sozialgesetzbuch (§ 2 SGB IX) gelten Menschen als behindert, die „aufgrund eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes nicht nur vorübergehend in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt sind“. Mittels einer Skala von 0 bis 100 wird das Ausmaß oder der „Grad der Behinderung“ (GdB) ausgedrückt.

Um einen Schwerbehindertenausweis zu erhalten, muss beim zuständigen Versorgungsamt ein Antrag auf „Feststellung einer Behinderung“ gestellt werden. Jede vom Antragsteller aufgeführte Gesundheitsstörung führt am Ende des Verfahrens zu einer Gesamtbewertung. Ab einem GdB von 50 gilt man als schwerbehindert. Diabetes allein reicht nicht mehr aus, um eine Schwerbehinderung geltend zu machen. Es kommt dabei auf eine wirkliche Beeinträchtigung an, unabhängig vom Therapieaufwand. Es gilt nachzuweisen, dass es zu „erheblichen Einschnitten“ in der Lebensführung kommt.

Diabetes als Schwerbehinderung - Rechtlicher RahmenDiesbezüglich gibt es allerdings seitens des Gesetzgebers ein Problem: Nirgends ist genau definiert, was „erheblich“ oder „gravierend“- beeinträchtigt bedeutet. Weitere körperliche oder auch psychische Probleme bis hin zu Depressionen, die nicht selten bei Menschen mit Diabetes auftreten, könnten hier zu solchen Einschränkungen führen. Im Antrag sollte deshalb genau und so ausführlich wie möglich erklärt werden welche Belastungen die Therapie darstellt, welcher zeitlicher Aufwand damit verbunden ist, inwiefern der Tagesablauf beeinflusst wird oder auch welche Auswirkungen all dies auf die Ausübung des Berufes hat. Nicht zu vergessen der gestörte Nachtschlaf durch notwendige nächtliche Blutzuckermessungen oder auftretende Unterzuckerungen.

Einen GdB (bis 50) haben beispielsweise Patienten, die:

  • mindestens vier Insulininjektionen und dementsprechend häufige Blutzuckermessungen durchführen.
  • Insulindosis selber variieren müssen.
  • Blutzuckerwerte und die gespritzten Insulindosen, sowie alle relevanten Ereignisse schriftlich dokumentieren müssen.
  • durch begleitende Umstände gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind.

Vorteile des Schwerbehindertenausweises

  • Erhöhter Kündigungsschutz: Eine Kündigung wird nur dann wirksam, wenn vorher das zuständige Integrationsamt zustimmt.
  • Vorteile für Arbeitnehmer: Schichtarbeit kann von Betroffenen abgelehnt werden. Zusätzlich stehen betroffenen Arbeitnehmern fünf bezahlte Urlaubstage mehr zur Verfügung. Bei Notwendigkeit kann dem Arbeitnehmer eine begleitende Hilfe (technische Arbeitshilfe oder Arbeitsassistenz) zur Verfügung gestellt werden. Hierfür ist entweder der Arbeitgeber oder die Bundesagentur für Arbeit zuständig.
  • Vorzeitige Altersrente: Mit 65 Jahren kann ein schwerbehinderter Mensch ohne Abzüge in Altersrente gehen. Ab 62 Jahren ist dies mit Abzügen (0,3% pro Monat) möglich.
  • Steuer: Auf Antrag können steuerfreie Pauschbeträge, allerdings erst ab GdB 50 (mit einigen Ausnahmen) mit 570,-€ geltend gemacht werden.

Nachteile des Schwerbehindertenausweises

Konfliktherd Diabetes & Stellensuche 
Grundsätzlich sollte die Diabetesdiagnose nie in einem Bewerbungsgespräch dem potentiellen Arbeitgeber mitgeteilt werden. Es besteht keine Verpflichtung eine Diabeteserkrankung anzugeben. Fragen seitens des Arbeitgebers sind nur dann zulässig, wenn durch die Erkrankung eine Gefahr für den Arbeitnehmer oder für Dritte besteht und eventuelle Tätigkeiten faktisch gar nicht möglich sind. Das bedeutet eine erschwerte Einstellung von Menschen mit Schwerbehinderung und in vielen Fällen sogar das Aus für die Bewerbung.

Versicherung
Da beim Abschließen einer Risikoversicherung (Berufsunfähigkeitsversicherung, Lebensversicherung, private Krankenversicherung) die Gesundheitsfragen und die Frage nach dem Vorhandensein eines Schwerbehindertenausweises wahrheitsgemäß beantwortet werden müssen, ist es für Betroffene mit einem entsprechenden GdB ohnehin schwer solch einen Versicherungsschutz abzuschließen. Trotzdem sollte jeder betroffene Arbeitnehmer versuchen zumindest eine Rechtsschutzversicherung für Arbeitsrecht abzuschließen.

Die möglichen Nachteile, die ein Schwerbehindertenausweis mit sich bringt, sollte Anlass sein, sich die Beantragung reichlich zu überlegen. Ein einmal ausgestellter Ausweis ist in der Regel ein Leben lang gültig, zumindest aktenkundig. Eine einfache Rückgabe ist nicht möglich. Eine Alternative stellt ein Gleichstellungsantrag dar. Ab einem GdB von 30 kann ein Antrag bei der Agentur für Arbeit formlos gestellt werden. Er setzt den Betroffenen mit einem schwerbehinderten Menschen (GdB 50) gleich. Leider sind die Vorteile der Gleichstellung nur im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz relevant, alle anderen Vergünstigungen, welche ein Schwerbehindertenausweis mit sich bringt, bleiben dem Betroffenen verwehrt.

Kinder: Schwerbehindertenausweis und Möglichkeiten der Unterstützung im Alltag

Allein in Deutschland erkranken jedes Jahr schätzungsweise 2.500 Kinder neu an Typ-1-Diabetes zu den bereits 31.000 diagnostizierten jungen Patienten. In Bezug auf Kinder hat die Problematik mit dem Schwerbehindertenausweis weitreichendere Auswirkungen als man vielleicht im ersten Moment annimmt. Denn nicht das betroffene Kind ist der Antragsteller, sondern die Eltern.

Als „Betreuer“ und Entscheidungsträger möchte man natürlich nur das Beste. Für Kinder unter 10 Jahren ist der ausgestellte Ausweis erst einmal bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres, für Kinder zwischen 10 und 15 bis zum 20. Lebensjahr befristet. Nach Ablauf dieser Zeit muss ein neues Feststellungsverfahren beim zuständigen Versorgungs- oder Landratsamt erfolgen.

Geprüft wird dabei, ob sich der GdB verändert hat. Der Schwerbehindertenausweis für Kinder dient dem Nachteilsausgleich und dem geltend machen verschiedener Leistungen. Auch Eltern können dadurch einen Nachteilsausgleich erfahren.

Bis zum 16. Lebensjahr des Kindes wird automatisch das Merkzeichen „H“ (= hilflos) vergeben. Dies erlaubt dem Kind die kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Für die Eltern erhöht sich der Steuerfreibetrag um bis zu 3.700 € und medizinisch begründete Fahrtkosten können möglicherweise übernommen werden. Das Merkzeichen “H“ gibt es auch dann, wenn man sich gegen einen Schwerbehindertenausweis für das Kind entschieden hat.

Pflegedienste und Alltagsbegleitung in der Kita und Schule

Die Eltern können die Mitarbeiter der Kita oder Schule mit der Stoffwechselüberwachung und Insulingabe betrauen. Dafür ist eine schriftliche Regelung aller Belange notwendig. Dies kann, muss aber nicht vom Personal der Einrichtung übernommen werden. Eine qualifizierte Schulung und die Bereitschaft des Personals sind wichtige Voraussetzungen.

Als Kind mit Diabetes in Kita und Schule

Der Einsatz eines speziellen Pflegedienstes, der mehrmals täglich die Behandlung übernimmt, könnte diese Versorgungslücke schließen. Sollte dies in Einzelfällen aus Kapazitätsgründen auch nicht möglich sein, oder die Einrichtung wünscht eine externe Betreuung des Kindes, müssen seit einem endgültigem Gerichtsurteil die Kosten für eine Begleitperson für ein Kind mit Diabetes übernommen werden.

Dadurch wird dem betroffenen Kind der Besuch einer Regelkita oder Regelschule ermöglicht. Diese Assistenzleistung kann auch bei Klassenfahrten bzw. Besuchen eines Schullandheims genutzt werden. Das Einkommen der Eltern ist für die entstehenden Kosten unerheblich.

Auch besteht die Möglichkeit ein „persönliches soziales Budget“ (monatliche Geldleistung) zu beantragen, womit eine selbst gewählte Person die oben genannten Aufgaben übernehmen könnte. Viele betroffene Eltern wissen leider nicht, dass es diese Variante gibt. Gleichzeitig lehnen Krankenkassen unberechtigterweise entsprechende Anträge ab.

In solchen Fällen ist Durchhaltevermögen gefragt und juristische Hilfe sehr hilfreich. Eine vorab gerichtliche Anordnung auf Kostenübernahme, die durch einen Rechtsstreit entstehen würde, kann gestellt werden.

Wer ist für welche Belange zuständig?

  • Für medizinische Hilfeleistungen (Stoffwechselkontrolle und Insulingaben) und die Pflegegeldbeantragung ist die Krankenkasse der entsprechende Ansprechpartner.
  • Der Antrag für eine Begleitperson im Alltag muss beim zuständigen Integrationsamt gestellt werden.
  • Ein Antrag auf Schwerbehinderung muss beim Versorgungsamt bestellt werden.

Ist ein Antrag auf Pflegegrad sinnvoll?

Bei einer Antragstellung wird der Pflege- und Betreuungsaufwand für ein erkranktes Kind mit dem Aufwand verglichen, den ein gesundes Kind gleicher Altersklasse benötigen würde. Da auch gesunde Säuglinge und Kleinkinder viel Hilfe benötigen, ist es äußerst schwierig hier eine positive Entscheidung zu erwirken.

Für die Betreuung und Pflege älterer Kinder ist es nur dann möglich Pflegegeld zu bekommen, wenn der tatsächliche krankheitsbedingte Mehraufwand für die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität mehr als 45 Minuten pro Tag beträgt. Es muss eine minutengenaue Auflistung für mehrere Tage erstellt werden. Jedes zusätzliche medizinische Problem (Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Einnässen, Verhaltensauffälligkeiten oder Entwicklungsverzögerungen) erhöhen die Chancen auf einen positiven Bescheid und sollten angegeben werden.

Bei einem abgelehnten Antrag kann man in Widerspruch gehen, ein diesbezüglich geführter Rechtsstreit kann jedoch sehr lange dauern und die Familie stark belasten.

Stiftung Dianiño

Trotz der sehr guten medizinischen Betreuung durch Ärzte und Pflegepersonal, benötigen viele Familien weitere Hilfe und Unterstützung. So müssen beispielsweise Erzieher oder Lehrer über den Umgang mit Diabetikern aufgeklärt werden. Liegen „soziale Härtefälle“ vor oder ist die Familie z. B. durch Scheidung oder einen Trauerfall in eine schwere Lebenssituation gekommen, kann in Deutschland die „Stiftung Dianiño“ schnell und kostenlos einspringen. Gerade alleinerziehende Eltern gelangen oft durch die Erkrankung ihres Kindes an ihr kräftemäßiges Limit. In diesen Fällen werden konkrete Hilfestellungen im psychosozialen Bereich angeboten, um Alltagsprobleme, die im Zusammenhang mit der Erkrankung auftreten, in den Griff zu bekommen.

Diabetes und Führerschein

Das Auto oder Motorrad ist für die Meisten unentbehrlich. Es ist Ausdruck von Mobilität, Freiheit und ist heute in der Freizeit und im Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Keiner kann sich auch nur annähernd vorstellen was es bedeuten würde, die Fahrerlaubnis zu verlieren bzw. keine solche erwerben zu können.

Damit der Verkehrsteilnehmer sich und andere nicht gefährdet, sind allgemeine Regelungen, Voraussetzungen zum Führen eines Fahrzeuges, der Fahrerlaubnisentzug sowie Auflagen und auch mögliche Beschränkungen in der Fahrerlaubnis-Verordnung festgeschrieben. Wie alle Menschen mit chronischen Erkrankungen, müssen Verkehrsteilnehmer mit Diabetes mellitus besonders zuverlässig mögliche Gefahrensituationen, wie z. B. Unterzuckerungen oder schlechtes Sehvermögen durch Stoffwechselentgleisungen, erkennen und versuchen zu vermeiden.

Diabtes und FührerscheinSie müssen im Umgang mit der Wahrnehmung und Behandlung einer Unterzuckerung und Insulindosisanpassung geschult sein. Der Stoffwechsel muss regelmäßig (aller 6 bis 12 Wochen) vom Arzt überprüft werden. Es ist Voraussetzung, dass ein gewissenhafter Umgang mit dem Messgerät und der Dokumentation der Ergebnisse erfolgt.

Jeder, der einen Führerschein machen möchte, muss einen Antrag stellen, dem nach Feststellung über die körperliche und geistige Eignung stattgegeben wird oder nicht. Dabei unterscheidet die Behörde zwei Risikogruppen, die vom Diabetes-Typ und der jeweiligen Diabetesbehandlung (z. B. orale Antidiabetika, intensivierte Insulintherapie, basalorale Insulintherapie) abhängen.

Nicht uneingeschränkt am Straßenverkehr teilnehmen können Betroffene, die zu schweren Unterzuckerungen mit Seheinschränkung, Übelkeit, Erbrechen oder gar Bewusstseinsverlust neigen. Auch bei instabilem Stoffwechsel, der z. B. bei einer Insulinneueinstellung oder Therapieumstellung auftreten kann, sowie bei extrem schlecht eingestelltem Diabetes mit sehr hohen Blutzuckerwerten oder mangelnder Therapieeinsicht, kann ein solch zeitlich begrenztes Fahrverbot vom behandelnden Arzt ausgesprochen werden.

Nach absolvierter Schulung und gut eingestelltem Blutzucker können grundsätzlich PKW, LKW, Taxi oder auch Bus geführt werden. Dafür fordert die Fahrerlaubnisbehörde ein Gutachten. Dieses muss ein Facharzt für Innere Medizin oder ein Diabetologe mit verkehrsmedizinischer Weiterbildung ausstellen und ist privat zu zahlen. Als Führer eines Fahrzeuges muss man mit Auflagen rechnen. Das können Führen eines Fahrtenbuchs oder Nachweis von Blutzuckerkontrollen mittels Blutzuckertagebuchs sein. Es ist in jedem Fall ratsam eine Verkehrsrechtschutzversicherung abzuschließen.

Ist die Fahrtauglichkeit auch durch diabetesbedingte Folgeerkrankungen wie Retinopathie, Hypowahrnehmungsstörung, Neuropathie mit Bewegungsbeeinträchtigung oder die Diabetestherapie nicht eingeschränkt, heißt es: “Volle und sichere Fahrt voraus“!

Autorinnen

Autorin Astrid HofmannClaudia Donath und Astrid Hofmann sind Diabetesberaterinnen DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft): Sie bringen umfangreiche Erfahrung rund um das Thema Diabetes mit und haben dabei große Freude dieses Wissen in Form von leicht verständlichen Texten und aktuellen Beiträgen für den Leser aufzubereiten. Darüber hinaus beraten und schulen sie mit viel Engagement Menschen aller Typen des Diabetes, dazu zählen insbesondere auch Kinder und Schwangere.

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